Am 13. April verkündete der Bundesrat für die Schweizer Ernährung, dass er in Zukunft das Land noch mehr abhängig machen will vom Ausland. Mit den Massnahmen, die es nun hinsichtlich der Parlamentarischen Initiative 19.475 umzusetzen gilt, wird die Ernährung der stark wachsenden Schweizer Bevölkerung noch mehr in ausländische Hände gelegt. Obwohl man eigentlich weiss, dass sich die Nachfrage nach Nahrungsmittel bis ins 2050 verdoppeln wird, setzt der Bundesrat voll und ganz auf Importe. Beste, fruchtbarste Böden im Inland werden, bundesrätlich verordnet, zu Brachland. Doch damit nicht genug. Mit der Vorgabe die Stickstoffverluste in der Landwirtschaft um 20 Prozent bis ins Jahr 2030 zu senken, gibt der Bundesrat sogar ein Ziel vor, das er nicht einmal in der Vernehmlassung zur Parlamentarischen Initiative 19.475 erläutern konnte, wie dies zu erreichen ist.
Da stellen sich nun doch einige Fragen:
1. Im Bereich Energie sieht der Bundesrat nun wie schlecht es ist, wenn die Schweiz abhängig ist vom Ausland. Wieso setzt derselbe Bundesrat in der Ernährung trotzdem noch vermehrt auf Importe, statt auf heimische Produktion?
2. Ist es für den Bundesrat sozial vertretbar in der Schweiz die Produktion herunter zu fahren und die dadurch zusätzlich fehlenden Nahrungsmittel auf dem knappen Weltmarkt einzukaufen?
3. Die Nachfrage nach Lebensmitteln wird sich bis im Jahre 2050 verdoppeln, aufgrund der stark ansteigenden Weltbevölkerung. Ist es da tatsächlich ethisch vertretbar, auf den besten Ackerböden in der Schweiz zusätzliche Ökoflächen zu verlangen?
4. Das BAFU hat sich im Bundesrat durchgesetzt. Nun müssen die Stickstoffverluste der Landwirtschaft um 20 Prozent reduziert werden. Der Bundesrat hat im Erläuterungsbericht nur Massnahmen aufgeführt die zu einer Reduktion von 7,7 Prozent führen. Ich bitte hier im Detail aufzuführen wie die 20 Prozent erreicht werden sollen.
5. Das Volk hat sich am 24. September 2017 mit überdeutlichen 78,7 Prozent für die Ernährungssicherheit ausgesprochen. Weshalb widersetzt sich der Bundesrat dem Volkswillen?
6. In der Debatte im Nationalrat zur oben erwähnten Initiative hat der damalige Landwirtschaftsminister Bundesrat Schneider Ammann gesagt, dass der Bundesrat einen Selbstversorgungsgrad von 60 Prozent wolle. Mit den beschlossenen Massnahmen vom 13. April sinkt der Selbstversorgungsgrad auf ein Allzeittief von unter 50 Prozent. Gelten gemachte Aussagen von Bundesräten im Parlament nichts mehr?
Antwort des Bundesrates:
In der Frühlingssession 2021 hat das Parlament entschieden, gewisse Bestimmungen der sistierten Agrarpolitik ab 2022 (AP22+), welche die Pflanzenschutzmittel und die Nährstoffüberschüsse betreffen, im Rahmen ihrer parlamentarischen Initiative 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» umzusetzen. Das Parlament hat diesen Entscheid in Kenntnis der in der Botschaft zur AP22+ beschriebenen Auswirkungen getroffen. Mit dem Verordnungspaket zur pa. iv. 19.475 setzt der Bundesrat die entsprechenden Gesetzesbestimmungen.
1. und 5. Der im Jahr 2017 vom Schweizer Volk angenommene Artikel 104a der Bundesverfassung verlangt, dass der Bund die Voraussetzungen schafft, damit die Ernährungssicherheit in der Schweiz langfristig gewährleistet bleibt. Die mit dem Verordnungspaket zur parlamentarischen Initiative 19.475 beschlossenen Massnahmen tragen dazu bei, essentielle Produktionsgrundlagen für die Inlandproduktion wie fruchtbare Böden und Biodiversität langfristig zu erhalten, damit die Schweizer Landwirtschaft auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung der inländischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln leisten kann.
2. und 3. In welchem Umfang Nahrungsmittel in die Schweiz importiert werden, ist unter anderem vom Grenzschutz, dem Bevölkerungswachstum, den Preisentwicklungen auf den in- und ausländischen Märkten und der Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz abhängig. Ebenso können auf der Angebotsseite wetterbedingte Ernteschwankungen eine wichtige Rolle spielen. Kurzfristig können Massnahmen für den langfristigen Erhalt der Produktionsgrundlagen (Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität etc.) die inländische Kalorienproduktion reduzieren, mittel- und längerfristig stärken sie aber die Inlandproduktion und vermindern damit die Importabhängigkeit. Wichtig ist zu erwähnen, dass die Hauptursache der weltweiten Hungerproblematik nicht die zu tiefe globale Nahrungsmittelproduktion ist, sondern der fehlende Zugang zu Nahrungsmitteln aufgrund von Armut und logistischen Problemen. Schädlich sind auch Exportrestriktionen. Die Schweiz setzt sich deshalb im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit für die wirtschaftliche Entwicklung in den von Armut betroffenen Ländern und gegen Exportrestriktionen ein. Welche Anstrengungen sie zur Bewältigung der aktuellen Krise ergreift, hat der Bundesrat in seiner Antwort auf die Interpellation Badertscher (22.3309 «Hungerkrise weltweit. Was macht die Schweiz?») erläutert. In Bezug auf die Importländer ist zu erwähnen, dass die Nahrungsmittelimporte in die Schweiz hauptsächlich aus dem EU-Raum stammen, der nicht von Hunger bedroht ist.
4. Mit den Massnahmen des Verordnungspakets zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative 19.475 und weiteren bereits beschlossenen Massnahmen (z.B. Pflicht zur emissionsarmen Güllelagerung und -ausbringung) können nach neuen Erkenntnissen die Phosphorüberschüsse um rund 18 Prozent und die Stickstoffüberschüsse um rund 11 Prozent reduziert werden. Die vom Parlament verabschiedete parlamentarische Initiative 19.475 sieht gemäss Artikel 6a Absatz 3 des Landwirtschaftsgesetztes (LwG, SR 910.1) vor, dass die Branche zusätzliche Massnahmen zur Senkung der Nährstoffüberschüsse ergreift. Ein ambitionierter Absenkpfad, der die Beteiligung der Branche durch eigene Massnahmen erfordert, entspricht somit dem Willen des Gesetzgebers. Es liegt im Eigeninteresse der Landwirtschaft, die Stickstoffverluste so weit wie möglich zu reduzieren, vermindert sie doch dadurch die Abhängigkeit von den zu 100 Prozent importierten stickstoffhaltigen Mineraldüngern, indem der vorhandene Hofdünger effizienter eingesetzt wird. Ob die definierten Ziele erreicht werden, hängt einerseits von der Beteiligung der Landwirtschaft an den Massnahmen des Bundes und anderseits von der Wirksamkeit der von der Branche ergriffenen Massnahmen ab. Sollte sich abzeichnen, dass die Ziele gemäss Absenkpfad nicht erreicht werden, kann der Bundesrat auf Verordnungsstufe zusätzliche Massnahmen ergreifen oder bestehende Massnahmen optimieren, um die Land- und Ernährungswirtschaft bei der Zielerreichung zu unterstützen.
6. Der Brutto-Selbstversorgungsgrad betrug in den Jahren 2018 bis 2020 im Durchschnitt 57 Prozent. Der leichte Rückgang in den letzten Jahren ist darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung in der Schweiz stärker gewachsen ist als die inländische Kalorienproduktion. Unter Berücksichtigung der weiterhin steigenden Bevölkerung und der abnehmenden landwirtschaftlich genutzten Flächen kann der Selbstversorgungsgrad nur gehalten werden, wenn das Dauergrünland mit standortangepasster Nutzungsintensität zur Milch- und Fleischproduktion genutzt wird und auf der Ackerfläche vermehrt Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung angebaut werden. Wichtig ist auch, dass Veränderungen auf Stufe Produktion synchron erfolgen mit Anpassungen auf Stufe Konsum. Zudem müssen die Lebensmittelverluste reduziert werden und die Landwirtschaftsböden müssen quantitativ und qualitativ erhalten bleiben. Bezüglich der Lebensmittelverluste hat der Bundesrat am 6. April 2022 einen Aktionsplan verabschiedet mit dem Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 im Vergleich zu 2017 zu halbieren. Für eine umfassende Beurteilung der Ernährungssicherheit greift der Selbstversorgungsgrad jedoch zu kurz, da er wichtige Faktoren wie die hohe Importabhängigkeit bei den landwirtschaftlichen Produktionsmitteln (Energie, Dünger, Saatgut, Pflanzenschutzmitteln, Maschinen etc.) oder die ökologische Tragfähigkeit der Produktion nicht berücksichtigt.
Antwort des Bundesrates.